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Klassik

Die Technik des frühen 19. Jahrhunderts hatte für die technischen Spielereien mit menschenähnlichen Automaten wenig übrig, wurden doch alle kreativen Kräfte dafür benötigt, um jene Maschinen zu bauen, welche die menschliche Arbeitskraft zu potenzieren wussten. Erklärtes Ziel dieser Entwicklung war das Erzielen des maximalen Gewinns bei maximaler Produktivität. Künstlerische Automatenträume in Gestalt von Kunstfiguren, Kunstmenschen, Puppenmenschen oder figuralen Spieldosen verbannte man vor allem in Kunst und Literatur. Gerade die um 1800 aufkommende Spieldose stellt eine bedeutende Erweiterung der Automatenvielfalt dar. Sie sollte bald in den originellsten Ausformungen die Vorstellung vom Musikautomaten mitprägen. Sie gilt als das mechanische Musikinstrument schlechthin und baut auf dem Mechanismus der Glockenspiele auf: Die Stahllamellen ersetzen jedoch deren Glocken. Da die Lamellen einen geringeren Nachklang aufweisen, eignen sich diese Stahllamellen besser für die Musikdarbietung als Glocken. Bald ging man daran, größere Spieldosen in Uhrensockeln zu integrieren, um sie dann schließlich als eigenständige Instrumente zu bauen.  Als gesichert gilt heute, dass die Erfindung der Musikdose auf den Genfer Uhrmacher Antoine Favre-Salaom zurückgeht, der 1796 das Prinzip der klingenden Stahllamelle für eine musizierende Taschenuhr, der späteren Spieluhr, zum Einsatz brachte. Schon 1810 gelang es einem Genfer Fabrikanten durch spezielle Fräsanlagen, einen Spielkamm aus einem Stück Stahlblech herzustellen. Solche Spieldosen wurden in der Folge nicht nur in der Schweiz gebaut. Als großer Nachteil wurde allerdings das begrenzte Musikrepertoire dieser Spieldosen angesehen, spielte die Walze doch meist nur bis zu 6 Musikstücke. War man der Melodien überdrüssig, musste man eben eine neue Spieldose erwerben. Als man jedoch um 1880 dazu überging, die Stiftwalzen in den Spieldosen durch auswechselbare, gelochte oder mit Noppen versehene Metallplatten zu ersetzen, gestattete dies auch eine größere Auswahl bei den Musikstücken. Mit der beginnenden Industrialisierung wurden diese Plattenspieldosen bald zu Hunderttausenden hergestellt, was sie auch deutlich verbilligte. Bald sollten diese mechanischen Musikautomaten für jedermann erschwinglich werden, wobei Deutschland und die USA weltweit die wichtigsten Exporteure wurden. Für die Souvenir-Industrie werden solche Spieldosen noch heute produziert. So erzeugen heute unter anderem auch China und Japan solche Spieldosen, die als Geschenkbox zur Aufbewahrung – etwa von Lebkuchen - oder zur Präsentation miniaturisierter Sehenswürdigkeiten herangezogen werden.
  
Auf dem Gebiet der mechanischen Musik kommt der Schweiz zwischen 1770 und 1900 eine führende Stellung zu: Aus der alteingesessenen Uhrenindustrie entwickelte sich  vor allem in Genf, St. Croix sowie im umliegenden Jura diese ganz spezielle Industrie. Sie hatte sich ganz auf die Herstellung von Sammelstücken mit klingendem Spielwerk spezialisiert und in der Folge neben figurativen Musikautomaten auch klingende Schmuckstücke und Schnupftabakdosen herausgebracht.

Erst mit der Hochblüte der bürgerlichen Salonkultur, die sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert vor allem in den urbanen Zentren abzeichnete, traten die mechanischen Musikautomaten ihren Siegszug an. Für das Amüsement eines zunehmend vergnügungssüchtigeren Publikums wurden stets neue und noch originellere Kreationen auf dem Sektor der automatischen Musik auf den Markt gebracht. Der Ehrgeiz, ganze Orchester zu ersetzen und als Ein-Mann-Orchester die professionelle Unterhaltung in Salons, Restaurants oder großen Hotelhallen zu bestreiten, zeitige immer aufwändiger Automaten, die nun  beispielsweise als unterschiedliche Orchestrien zum Einsatz kamen. Bereits um 1880 hatte Jules Carpentier zur Programmierung von Musikautomaten die Kombination von Lochkartenstreifen  mit pneumatischer Steuerung herangezogen, 1885 entwickelte Paul Lochmann gemeinsam mit dem Engländer Ellis Parr die gelochte Metallscheibe, die als Grundlage der Spieluhrenindustrie in Leipzig fungierte. Auf der Basis dieser entscheidenden Innovationen entwickelte sich eine florierende industrielle Produktion von mechanischen Musikinstrumenten sowohl in der Alten, als auch in der Neuen Welt. Erfolgte anfänglich der Antrieb dieser Orchestrien mit Gewichtsantrieb oder Kurbel (manchmal auch durch eine Dampfmaschine), so folgten später Gas-, Wasser- und letztlich Elektromotoren. Zu Beginn  der Entwicklung wurde die Musik mit einer hölzernen Stiftwalze aus Holz, später durch gelochte Scheiben oder Kartonstreifen auf das Instrument übertragen.

Als das erste Orchestrion gilt ein 1820 von dem Spieluhrenbauer Carl Blessing in Unterkirnach im Schwarzwald gebautes Exemplar. Aus dem Schwarzwald sollten bald die unterschiedlichsten Orchestrien bis nach Russland vertrieben  werden. Als Zentren für die Produktion von Konzertorchestrien etablierten sich unter anderem Freiburg im Breisgau, Vöhrnbach im Schwarzwald und Leipzig. Waldkirch im Breisgau spezialisierte sich auf Jahrmarkts-, Straßen- und Drehorgeln. Die Freiburger Firma Michael Welte & Söhne, die 1872 von Vöhrnbach nach Freisburg im Breisgau umgezogen war, ließ sich 1883 ein Verfahren patentieren, bei dem die Steuerung der Orchestrien durch gelochte Papierstreifen, der sogenannte Notenrolle, erfolgte und damit rasch die bis dahin gängige Stiftwalze der Orchestrien ablöste. In den USA entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts das erste Orchestrion mit einer integrierten Geige: Die in Chicago beheimatete Mills-Novelty-Company hat bei dieser „Automatic Virtuosa“, wie sie ihr zwischen 1905 und 1906 entwickeltes Orchestrion nannten, im Oberteil eine liegende Geige eingebaut, deren Saiten durch vier sich drehende Zelluloid-Scheiben gestrichen wurden. Eine verbesserte Version folgte als „Violano-Virtuoso“ bereits 1909. Bis 1930 sollten noch die unterschiedlichsten Sonderlösungen des Orchestrions folgen. So besitzen wir etwa eine Nachricht darüber, dass sich 1890 der Gastwirt Fannenböck über Aufforderung des Erzherzogs Franz Ferdinand in Sarmingstein im unteren Mühlviertel mit seinem einzigartigen „Triphonium“, welches eine Kombination von Zither, Flöte und Harmonium darstellte, produzierte. Rundfunk, Schallplattenspieler und neue elektronische Aufnahmemöglichkeiten läuteten aber auch für diese musikalischen Automaten das Ende ein.

Die Geschichte